Zusammenfassung:
Am 24. September 2025 hat der Europäische Gerichtshof über das von Gamesright geführte Verfahren C-530/24 verhandelt. Kernfrage:
👉 Können Spieler ihre Verluste aus illegalen Online-Sportwetten in Deutschland zurückfordern?
Der Bundesgerichtshof hat dies bereits vorläufig bejaht – jetzt prüft der EuGH, ob europarechtliche Bedenken bestehen. In der Verhandlung zeigte sich: Die zentralen Verteidigungslinien von Tipico bröckeln, während unsere Position durch die EU-Kommission und mehrere Mitgliedsstaaten gestützt wird.
Die Entscheidung hat Signalwirkung: Es geht nicht nur um Rückerstattungen in Milliardenhöhe, sondern auch um die Grundprinzipien von Kohärenz und Dienstleistungsfreiheit im europäischen Glücksspielrecht.
👉 Die Schlussanträge des Generalanwalts werden am 11.12.2025 erwartet. Ein Urteil des EuGH dürfte im Q1 2026 folgen.
Hintergründe:
Wieso der Europäische Gerichtshof?
Das Glücksspielrecht ist in Europa nicht einheitlich geregelt, also nicht harmonisiert. Aus diesem Grund gibt es schon diverse Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum Glücksspielrecht. Darin hat der EuGH Leitsätze aufgestellt, etwa damit der Schutz der Spieler den Bedürfnissen des jeweiligen Landes entspricht, oder Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten nicht benachteiligt werden. Ein wichtiger Grundsatz ist die Kohärenz („Schlüssigkeit“). Jeder Mitgliedsstaat bestimmt selbst, ob und welche Glücksspielangebote dort erlaubt sind. Es besteht keine Pflicht, eine von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Glücksspielerlaubnis anzuerkennen (entgegen anderslautender Mediendarstellung, st. Rspr.; vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 08.02.2024 – C-216/22, Rn. 52, juris; C-46/08, Camen Media Group). Beschränkungen der Spielangebote sind also jedem Mitgliedsstaat erlaubt, sofern sie durch Gründe des Allgemeininteresses, wie des Verbraucherschutzes, der Betrugsvorbeugung und der Vermeidung von übermäßigen Ausgaben gerechtfertigt sind. Die Kehrseite dieser Medaille ist die europäische Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV).
Einige Länder haben in diesem Spannungsverhältnis in der Vergangenheit gegen das Kohärenzgebot verstoßen, indem staatliche Monopole geschützt wurden, oder private Anbieter benachteiligt wurden. Der EuGH hat daher weiter präzisiert, dass Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit dazu geeignet sein müssen, die legitimen Zwecke (Verbraucherschutz, etc.) zu gewährleisten, indem sie die Wetttätigkeiten systematisch, verhältnismäßig und diskriminierungsfrei beschränken.
Der BGH kennt diese gefestigten Grundsätze und hat sie in seiner vorläufigen Einschätzung berücksichtigt. Gleichwohl gibt es einige Besonderheiten bei der deutschen Rechtslage zwischen 2012 und 2021 zu beachten.
Wie war die Situation in Deutschland bis 2012?
Auf terrestrische Sportwetten, also Wetten im Ladenlokal, galt bis 2012 auf dem Papier ein staatliches Monopol. Faktisch gab es private Anbieter, die sich daran nicht gehalten haben, beispielsweise Tipico. Das staatliche Monopol verstieß aber gegen das europarechtliche Kohärenzgebot und war daher nicht zu beachten. Der EuGH hat in dieser Situation mit seiner bekannten „Ince“ Rechtsprechung entschieden, dass ein Vermittler privater terrestrischer Sportwetten nicht bestraft werden darf, da das Monopol gegen das Kohärenzgebot verstieß, also europarechtswidrig war.
Dagegen waren Glücksspiele im Internet in Deutschland schon immer für alle Anbieter, inklusive des staatlichen Monopolisten, verboten. Dieses Internetverbot bis 2012 für alle war rechtmäßig, wie das Bundesverwaltungsgericht 2016 abschließend festgestellt hat. An das gültige Internetverbot haben sich diverse private Anbieter nicht gehalten.
Was hat sich mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 geändert?
2012 hat der Gesetzgeber das unrechtmäßige Monopol für terrestrische Sportwetten und auch das gültige Internetverbot jeweils durch ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ersetzt. Man wollte die Sportwette aus dem Schwarzmarkt herausholen und in geregelte Bahnen überführen. Sportwetten waren ab dann immer noch grundsätzlich verboten, aber Anbieter sollten auf Antrag die Möglichkeit erhalten, eine behördliche Erlaubnis zu bekommen. Diese Konstruktion des „Verbots mit Erlaubnisvorbehalt“ wurde vom EuGH zuvor als unionsrechtskonform beschrieben. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2017 festgestellt, dass die deutsche gesetzliche Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags 2012 mit dem Unionsrecht im Einklang stand.
Wie ist das behördliche Erlaubnisverfahren abgelaufen?
Die Behörde hat im Konzessionsverfahren, also bei der Auswahl der geeigneten Anbieter für Sportwetten im Internet, zwanzig Anbieter in eine Vorauswahl genommen. Etliche Sportwettenanbieter, die nicht ausgewählt wurden, darunter auch Tipico, haben gegen diese Auswahl geklagt. Die Anbieter vertraten die Auffassung, das Auswahlverfahren sei fehlerhaft gewesen, da die Auswahlkriterien intransparent, also unklar gewesen seien. Damit konnten sie tatsächlich zunächst das Verwaltungsgericht Wiesbaden überzeugen. In der Berufungsinstanz hat das Gericht dann aber auf Antrag von u.a. Tipico das Ruhen des Verfahrens angeordnet und dann, mit Tipicos Einverständnis, die Erledigung festgestellt. Es hat zudem ausgeführt, dass Tipico keine Erlaubnis hätte erteilt werden können, da der Anbieter mit seinem Antrag die Voraussetzungen nicht erfüllt hatte. Damit endete das Verwaltungsverfahren, ohne irgendeine Wirkung zu entfalten.
Die Behörde hat aufgrund der anhaltenden Rechtsstreitigkeiten keine Erlaubnisse erteilt, weder an die vorausgewählten Teilnehmer, noch an ungeeignetere Anbieter. Damit sollte sichergestellt werden, dass kein Anbieter europarechtswidrig bevorzugt würde.
Fassen wir die rechtliche Situation zusammen:
Sportwetten im Internet waren schon immer in Deutschland verboten. 2012 blieben sie grundsätzlich verboten, die Behörde hätte aber Erlaubnisse erteilen können. Hiervon hat sie bis Ende 2020 keinen Gebrauch gemacht. Ausschlaggebend dafür war, dass Anbieter, die keine Erlaubnis erhalten sollten, gegen die Erlaubniserteilung an andere Anbieter geklagt hatten. Einer dieser Anbieter, die keine Erlaubnis erhalten sollten und geklagt hatten, war Tipico.
Wie haben die Anbieter sich in dieser Zeit verhalten?
Staatliche Anbieter aus Deutschland und anderen EU-Ländern haben sich immer an das Internet-Verbot gehalten und kein Online-Angebot betrieben. Der staatliche Anbieter Oddset bot bis 2022 überhaupt kein entsprechendes Wettangebot an. Tipico hat demgegenüber in der mündlichen Verhandlung beim EuGH erklärt, bereits seit 2005 Sportwetten im Internet angeboten zu haben. Dieses Angebot habe man über den gesamten Zeitraum des totalen Internetverbots fortgesetzt. Als auch im Konzessionsverfahren 2013 keine Erlaubnis erteilt wurde, wurde das Angebot gleichwohl fortgesetzt. Tipico bezeichnete dies als „Notwehr“ und hat zudem in der Verhandlung vor dem EuGH erklärt, sie seien zu Unrecht nicht ausgewählt worden. Deshalb hätten sie sich auch nicht an die deutschen Spielerschutzvorschriften halten müssen. Es wurden beispielweise systematisch verbotene Live- und Ereigniswetten angeboten, die Einsatzlimits nicht eingehalten und auf Casino- und Automatenspiele verlinkt. Das Verhalten sei praktisch „Notwehr gewesen, man hätte sonst ja nicht tätig werden können. Viele private Anbieter haben sich genauso, oder ähnlich verhalten. Tatsächlich wurde mit Prominenten und bei Großveranstaltungen massiv für Online-Sportwetten geworben. Gamesright hat seit 2021 die Auffassung vertreten, dass dieser fortgesetzte und intensive Verstoß gegen das geltende Glücksspielrecht in Deutschland nicht folgenlos bleiben kann. Die Anbieter haben sich, ohne Kenntnis der Spieler, auf deren Kosten bereichert und sich einen unfairen Vorteil gegenüber den rechtstreuen Anbietern verschafft. Es handelt sich dabei um ein besonders sozialschädliches Verhalten mit einem Schaden für die Verbraucher in vielfacher Milliardenhöhe.
Warum ist die Behörde nicht gegen verbotene Internetangebote eingeschritten?
Die Situation war komplex. Wie dargestellt war das terrestrische Sportwettenmonopol aus dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 europarechtswidrig. Der Gesetzgeber hatte die begrüßenswerte Absicht, dies zu reformieren und die Sportwette aus dem Verbot herauszuholen. Ordnungspolitisch sicherlich ein erstrebenswerter Gedanke, wollte man nicht ein Drittel der Bevölkerung kriminalisieren. Auch der Vorsatz, Online-Wetten zur Erprobung aus dem Verbot in geregelte Bahnen zu lenken, war gewiss sinnvoll. Wir sehen noch heute, dass Spieler auf nicht-regulierte Angebote aus dem Ausland zugreifen, bei denen sie vollkommen ungeschützt sind. Es handelte sich um den gesetzgeberischen Versuch, effektiven Spielerschutz zu implementieren.
Aus der Ince-Rechtsprechung des EuGH folgte, dass man Anbieter von terrestrischen Sportwettenangeboten nicht bestrafen konnte, solange das Monopol faktisch fortbestand. Dies wurde auch auf behördliches Einschreiten übertragen. Die Anbieter, darunter auch Tipico, waren also bis 2012 vor staatlichen Sanktionen geschützt. Aus verschiedenen Gründen, insbesondere wohl wegen des verhältnismäßig geringen Anteils der Online-Sportwette zwischen 2010 bis 2015, wurde dieser Vertriebsform wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es hat den Anschein, als wären die Beteiligten bei den Behörden und Staatsanwaltschaften in der Ansicht des unionsrechtswidrigen Monopols und dem Tadel des EuGH verfangen gewesen.
Nachdem der Glücksspielstaatsvertrag im Konzessionsverfahren 2013 Gegenstand diverser Rechtsstreitigkeiten und europarechtlicher (Schein)-Vorwürfe geworden war, hat die Behörde keine Lizenzen vergeben. Nebenher gab es gesetzgeberische Hürden und bis 2021 drei Anpassungen des Glücksspielstaatsvertrags. Bis dahin wurde die Auffassung vertreten, das staatliche Sportwettenmonopol sei faktisch weiterhin in Kraft gewesen.
Dabei wurde freilich übersehen, dass es zu keiner Zeit ein Internetangebot des Staats gegeben hat. Es bestand weder ein rechtliches, noch ein tatsächliches Monopol für Online-Sportwetten. Für Automaten- und Casinospiele im Internet galt dies ebenfalls. Tatsächlich war es genau andersherum: Die dreistesten unlizenzierten Anbieter hatten den Markt bereits vor 2012, während der Geltung des unionsrechtskonformen Internetverbots, unter sich aufgeteilt und fuhren Milliardengewinne ein.
Was ist im Ausgangsverfahren passiert, das zum EuGH gelangt ist?
In der ersten Instanz hat das Gericht darauf abgestellt, Tipico sei eine Erlaubnis vom VG Wiesbaden erteilt worden. Der Anbieter habe daher erlaubt Sportwetten angeboten. Das Landgericht Ulm hat in der Berufung im Ergebnis erneut für Tipico entschieden, da aus der EuGH Rechtsprechung zu „Ince“ folge, dass Anbieter nicht bestraft werden könnten. Dann sei auch zivilrechtlich eine Rückzahlung ausgeschlossen. Hiergegen ist Gamesright vor den Bundesgerichtshof gezogen. Details und eine rechtliche Einordnung haben wir damals bereits in unserem Blog bekanntgegeben: Bundesgerichtshof I ZR 90/23 – Rechtliche Einordnung und Hintergrund-Besprechung des Sportwetten-Verfahrens – Gamesright
Was wurde in der mündlichen Verhandlung des EuGH besprochen?
Die Verhandlung lief exzellent für alle Betroffenen, die hier auf Gamesright vertrauen: Die Argumente der Gegenseite (Tipico) wurden von den Richtern und dem Generalanwalt stark in Zweifel gezogen. Im Gegenzug wurde unsere Position durch die Europäische Kommission und die Vertreter anderer EU-Staaten (Belgien, Griechenland, Portugal) massiv gestützt.
Tipicos Kernargumente zerfallen: Die zentralen Verteidigungslinien von Tipico – die Berufung auf die sogenannte „Ince-Entscheidung“ und auf ein altes, nie rechtskräftiges Urteil des VG Wiesbaden – wurden im Laufe der Verhandlung argumentativ demontiert.
Anders als unter der Geltung des Glücksspielstaatsvertrags 2008 war seit 2012 weder das Glücksspielgesetz, noch die Ausgestaltung des Konzessionsverfahrens europarechtswidrig. Gesprochen wurde vor dem EuGH lediglich über etwaige Unregelmäßigkeiten im Verfahren der Behörden, in dem sie die geeignetsten Bewerber auswählen wollte. Gamesright hat betont, dass solche Fehler nationalen Rechtsschutz eröffnen, aber nicht dazu führen, dass keinerlei Ordnungsrecht gilt. Selbstverständlich gilt dies umso mehr für das Zivilrecht. Die europäische Dienstleistungsfreiheit berechtigt nicht dazu, verbotene Dienste frei anzubieten, wenn das nationale Glücksspielrecht kohärent ausgestaltet ist. Dies dürfte auch für Sanktionen auf verwaltungs- und strafrechtlicher Ebene gelten.
Die kritischen Fragen der Richter, insbesondere der Vergleich des Vorgehens von Tipico mit illegalen Kokainverkauf oder der Vorwurf, man habe auf den Ausgang von Gerichtsverfahren „gewettet“ , zeigen eine sehr deutliche Tendenz des Gerichts.
Wie geht es weiter?
Die schriftlichen Schlussanträge des Generalanwalts werden für den 11.12.2025 erwartet. Der EuGH wird einige Monate später urteilen. Wir hoffen auf eine rasche Entscheidung in Q1 2026. Diese Anträge sind zwar nicht das Urteil, geben aber in über 80 % der Fälle die Richtung der finalen Entscheidung des EuGH vor. Daraufhin können alle Gerichte ausgesetzte Verfahren wieder aufnehmen. Es wird nicht erforderlich sein, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwarten.
Anfragen richten Sie bitte an: [email protected]
Sie möchten eine Rückforderung finanzieren lassen, oder Ihre Forderung verkaufen? Nutzen Sie bitte unser Antragsformular auf www.gamesright.de
